Von einem, der auszieht, in der Stadt zu leben

Menschen mit Behinderungen haben – genau wie alle anderen Menschen auch – das Recht, selbst zu entscheiden, wo, wie und mit wem sie leben möchten. Dieses Wunsch- und Wahlrecht ermöglicht einem Bewohner der terra nun einen Umzug.

Der Bewohner – nennen wir ihn hier mal Uwe K. – lebt schon sehr lange Zeit in besonderer (früher: stationärer) Wohnform bei der terra, nämlich seit genau 18 Jahren. Er arbeitet jedoch nicht im Bereich der Tagesförderstätte auf dem Hof in Belau, sondern geht in der rund 20 Kilometer entfernten Kreis- und Hansestadt Salzwedel einer Beschäftigung nach. Dort wohnen rund 16.000 Menschen (mit Eingemeindung sind es rund 25.000). Gern kaufen die Salzwedeler im Stadtzentrum ein, in dem auch Restaurants und Cafés zu finden sind, oder sie verweilen auf dem Rathausturmplatz für einen kleinen Klönschnack. Salzwedel, die Baumkuchenstadt, ist also ein hübsches und quirliges Örtchen – und ziemlich anders als das winzige, ländlich gelegene Dorf Belau, in dem die terra zu Hause ist.

Nun fuhr Uwe K. also jeden Werktag morgens zur Arbeit nach Salzwedel. Und je länger er das tat, umso öfter kam in ihm der Wunsch auf, das dörfliche Leben in Belau zu verlassen und in die Stadt zu ziehen. Dieser Wunsch konkretisierte sich schließlich in der Idee, an seinem Arbeitsort Salzwedel leben zu wollen.

Jetzt wird Uwes Traum zum 1. Januar 2022 endlich Wirklichkeit – er zieht aus seinem langjährigen Zuhause bei der terra aus und in Salzwedel in eine Wohngruppe ein. „Wir freuen uns für Uwe, dass das geklappt hat, und wünschen ihm für seinen weiteren Lebensweg von ganzem Herzen das Allerbeste!“, sagt terra-Einrichtungsleiter Henrik Thunecke.

Diesen Schritt von Uwe K. hat das Bundesteilhabegesetz (BTHG) möglich gemacht. Das umfassende Gesetzespaket besteht aus vier Reformstufen, von denen drei bereits in Kraft sind. Durch das BTHG sollen die Möglichkeiten erweitert werden, ein Leben nach persönlichen Wünschen mit größtmöglicher Teilhabe und Selbstbestimmung planen und gestalten zu können. In diesem Sinne wurde auch die Eingliederungshilfe durch das BTHG zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickelt. Für Menschen mit Behinderungen bringt das einige Verbesserungen, vor allem weil sich die Leistungen der Eingliederungshilfe seit dem Jahr 2020 nicht mehr an eine bestimmte Wohnform koppeln, sondern ausschließlich am individuellen Bedarf orientieren. In der Folge ist die Eingliederungshilfe für Menschen mit erheblichen Teilhabeeinschränkungen nun nicht mehr Teil des Fürsorgesystems der Sozialhilfe, sondern Bestandteil des Teilhaberechts in Teil 2 des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX). Daher werden auch die Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den Leistungen zum Lebensunterhalt getrennt finanziert.

Die Konsequenz: Das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderungen ist vor allem auch im Hinblick auf die Wohnform erheblich gestärkt worden. Und nach § 104 SGB IX muss dem, was ein Leistungsberechtigter möchte, auch entsprochen werden, wenn seine Wünsche angemessen sind. Das wird natürlich geprüft.

Uwe K. hatte einen Wunsch – er wollte in der Stadt wohnen. Das erschien genauso angemessen wie bei jedem Menschen, der seinen Lebensort aus guten Gründen verändern möchte. Einer solchen Entscheidung geht trotzdem stets viel Abwägung voraus, die kaum jemandem leichtfällt. Schön, dass auch die terra Uwe K. darin unterstützt, gestärkt und begleitet hat, seine eigenen Vorstellungen zur Lebensgestaltung zu entwickeln – und ebenso schön, dass sich jetzt alle bei der terra mit ihm über sein künftiges Leben in Salzwedel freuen. Auch wenn einige langjährige Mitbewohner*innen Uwe K. bei der terra dann wohl vermissen werden. 

Foto: Blick vom Rathausturm der Hansestadt Salzwedel Richtung Norden (Silesia711/CC BY-SA 4.0/wikipedia.org)


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