Terra-Geschichten, Folge 6: Stefan und seine künstlerische Ader

Bei der terra schreibt das Leben schöne Geschichten. In manchen geht es um kleine, aber besondere Alltagsmomente, in anderen um große Schritte, besondere Fähigkeiten und denkwürdige Begebenheiten. Jede einzelne dieser Geschichten ist es wert, erzählt zu werden. So wie die von Stefan und seiner künstlerischen Ader.

Stefan Bonin ist heute 61 Jahre alt und ein terra-Bewohner der ersten Stunde. Vor gut 40 Jahren zog er als junger Erwachsener auf den Hof nach Belau, wo er rasch heimisch wurde. 2007 wechselte Stefan dann in eine eigene Wohnung nach Bergen. Seitdem wird er dort vom Ambulant Betreuten Wohnen (ABW) der terra begleitet.

Mit der terra blieb der natur- und kulturverbundene Stefan also immer in enger Beziehung. 

Natur bedeutet Stefan viel

Jedes Pflänzchen, jeder Strauch, die Bäume, der Wald. Deshalb hat sich Stefan in der Tagesförderstätte der terra auch schon vor langer Zeit dem Team Landwirtschaft & Garten angeschlossen. Das versorgt die Tiere auf dem Hof und kümmert sich ebenso sorgsam um alles, was im Nutzgarten gedeiht. Lauchzwiebeln, Liebstöckel und Bohnenkraut zum Beispiel, Hirschsalat, Knoblauch, Bohnen oder Mohrrüben. Wenn Stefan zum Ernten in die Beete geht, damit bei der terra mittags frischer Salat und knackiges Gemüse auf den Tisch kommt, dann tut er es in höchst achtsamen Art. „Jede Pflanze hat eine Seele und ein Herz“, sagt er nachdenklich.  „Man darf nicht grob mit ihr sein.“ Mit diesem Respekt setzt er an der richtigen Stelle die Hand, das Messer oder die Schere an und legt die Ernte dann so in den Korb, dass nichts zerdrückt.

Stefan ist ein ruhiger, zurückhaltender Mensch. Wer sich jedoch ernsthaft für Pflanzen interessiert, kann von ihm viel über Blüten- und Fruchtstände, Entwicklungsstadien und Verwendungsmöglichkeiten erfahren. Denn vieles, das in der Natur wächst, ist nicht nur für den Kochtopf, sondern auch für die Gesundheit gut. Woher hat Stefan all sein Wissen? Er wägt seine Antwort wie immer sorgsam ab, sagt dann bedächtig: „Ich habe viel gelesen.“ Nach einer Pause setzt er noch eine wichtige Zusatzinformation hinzu: „Und ich war früher in der Waldorfschule.“

Die Waldorfschule hat Stefan mit ihrem anthroposophischen Ansatz nachhaltig geprägt

Nicht nur im Umgang mit der Natur. Genauso wesentlich war für ihn die Heranführung der Schule an die persönliche Entfaltung mit künstlerischen Mitteln. Das hat Stefans Fantasie und Kreativität herausgefordert und sein Empfinden für Qualitäten lebenslänglich geschärft. So konnte er sich das bildnerische Wirken, das Theaterspiel, die Gestaltung des poetischen Wortes und seine Faszination für Musik bis heute bewahrt.

Er sagt zwar bescheiden: „Ich bin kein Künstler; ich habe nur selber Ideen.“ Aber so ganz wird Stefan seiner breit gefächerten künstlerischen Ader damit nicht gerecht.

Stefan erschafft eindrucksvolle Bilder

Ölfarben und Blei- oder Buntstifte sind seine Werkzeuge. Die Bilder tragen Titel wie „Der so guckt“ und zeigen mal zarte, mal kraftvoll angelegte Kompositionen. Sie verraten, dass Stefans Weg vom beobachteten, sinnlich erfahrbaren Phänomen zum gedanklichen Verstehen führt. Sein bildnerisches Werk hat Tiefe, zeugt von gesteigertem Wahrnehmungsvermögen, Stilgefühl, individuellem Ausdruckswillen und Erkenntnis.

Das hat Stefan schon in verschiedenen Ausstellungen unter Beweis gestellt, beispielsweise im „Hanseat“ in Salzwedel oder im „Café Sprechzimmer“ in Dannenberg. Abheben lässt das den Künstler aber noch lange nicht. Er bleibt stets in Bodenhaftung und freut sich jeden Monat neu auf den festen Termin in seiner Malgruppe bei der terra.

Stefan spielt Theater

Auch diese Leidenschaft wurde einst in der Waldorfschule geweckt. Dem künstlerischen Ausdruck auf der Bühne kam dort stets hoher Stellenwert zu. Stefan nahm das in sein weiteres Leben mit. So wurde er auch begeistertes Mitglied der terra-Theatergruppe, sobald sie gegründet war. Anleitung und Regie kamen am Anfang von Kerstin Wittstamm und Carolin Serafin, heute leitet Andrea Leonhardt das Ensemble.

Seitdem hat sich Stefan dort zu einem der wichtigsten Schauspieler entwickelt und schon an vielen Theaterstücken mitgewirkt. Hier einige Beispiele: Nathan, der Weise – Der Vogelhändler – Don Quixote – arm und tierreich – James Bond trifft Adolf Hitler – Jedermann – Geld oder Leben – Das kleine Grau –  Die Weihnachtsgans Auguste und andere mehr.

Aus diesem vielfältigen Programm ragte das von der Gruppe selbst entwickelte Bühnenstück Schöne blonde Augen über das Thema „Geburt“ heraus. Stefan hat darin die Hauptrolle gespielt: den König. Das Stück feierte an der Akademie der schönen Künste in Berlin Premiere. Bis dahin wurden die Schauspieler*innen der terra acht Monate lang filmisch auch  bei ihren Probearbeiten begleitet. Daraus entstand eine berührende Dokumentation des Filmemachers Simon Brückner. Sein gleichnamiger Film „Schöne blonde Augen“ zeigt viele Momente voller Poesie – auf und hinter der Bühne. Er gibt Einblicke in das Zusammenleben bei der terra und in die Themen, die die Bewohner*innen bewegen: Liebe, Identität und Erwachsenwerden, die Kommunikation jenseits des Sagbaren und auch die gewaltige Herausforderung des Theaterspielens. Kinostart war im Jahr 2009. Stefan warb dafür als Hauptdarsteller auf dem Kinoplakat.

Außerdem wurde Stefan 2004 mit dem Theaterpreis „GoldenHans“ im Thalia Theater Hamburg ausgezeichnet. Diesen „Bühnen-Oscar“ erhalten Darsteller*innen mit Behinderung für herausragende Leistungen.

Stefan fertigt „Schreibübungen“ an

So nennt er bescheiden seine Texte, in denen er Gedichte, Beobachtungen, Assoziationen und Gedankengänge zu Papier bringt. Aus dieser literarischen Sammlung hat der Autor schon häufiger Ausschnitte zu Gehör gebracht, etwa im Rahmen der Kulturellen Landpartie im Wendland. Hier las Stefan zum Beispiel schon im Wustrower Museum, im Kulturverein Platenlaase in Jameln oder im Kulturladen in Clenze. Auch im Museum Lüneburg war er bereits zu Gast mit seinem Programm „Der gesingte Schwan“. Seine Lesungen werden seit Jahren einfühlsam von Oliver Frank am Klavier begleitet.

Auch Corona konnte Stefans Kreativität nicht mindern

Natürlich hat Stefan während der Pandemie die kulturellen Angebote sehr vermisst. Das hat ihn von seinem künstlerischen Wirken jedoch nicht abgehalten. Allerdings verbrachte er aufgrund der vielen Einschränkungen ungezählte Stunden allein zu Hause, in denen er an Bildern und Gedichten weiterarbeitete. Das hat ihm geholfen, die Zeit, in der direkte Kontakte zu Freunden und zur Familie sowie der Besuch kultureller Veranstaltungen nicht möglich waren, zu überbrücken und zu verarbeiten.

Jetzt freut sich Stefan, wieder regelmäßig die Bergener Kirche für Konzerte, Gottesdienste oder Choraufführungen besuchen zu können. Er nimmt auch wieder jede Gelegenheit wahr, sich Theaterstücke anzusehen oder auch mal auf ein Rockkonzert zu gehen.

Stefan hat Pläne

Als nächstes möchte er eine neue Ausstellung seiner Bilder organisieren. Gut so – denn Kunst braucht Öffentlichkeit!

Impressionen: Gartenarbeit, Theaterspiel, Lesungen, Ausstellungen


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