Terra-Geschichten, Folge 4: Stephies Weg aus der Krise

Die Geschichte von Stephie lässt sich nicht in wenigen Zeilen erzählen. Denn die junge Frau hat durch ihre Corona-Angst schlimme Zeiten erlebt und sich mit großer Kraftanstrengung wieder zurückgekämpft. Nicht viele würden darüber öffentlich berichten. Dass Stephie es tut, dafür gebührt ihr Anerkennung und großer Dank. Denn auf diese Weise macht sie anderen Betroffenen viel Mut und gibt ihnen Zuversicht.

Zunächst hier der mit Stephie (Foto) abgestimmte Bericht von Kristin Brunk, die das Ambulant Betreute Wohnen (ABW) bei der terra leitet:

Stephie, eine fröhliche, aufgeschlossene junge Frau, ist im Jahr 2003 in den Wohnbereich der terra nach Belau gezogen. Sieben Jahre später erfüllt sich dann endlich ein lange gehegter Traum: Umzug in die eigene Wohnung! Seitdem wird Stephie vom der terra ambulant betreut.

Zur Jahreswende 2019/2020 läuft für sie noch alles prima. Stephie hat in einer Werkstatt für behinderte Menschen den Berufsbildungsbereich absolviert und nun einen Außenarbeitsplatz im Wendlandmarkt Lüchow ergattert. Das gelingt auch nur wenigen Menschen mit Beeinträchtigung! Ansonsten liebt Stephie das Leben, ist viel und gern mit Fahrrad und Bus unterwegs, unternimmt nah und fern Ausflüge, besucht die Familie.

Dann kommt Corona über Deutschland

Und mit dem gefährlichen Virus ziehen überall Angst, Verunsicherung und andauernd neue Regeln ins Land ein. Maske tragen? Soziale Kontakte einschränken? Im Frühjahr 2020 stehen bald alle Räder im ersten Lockdown still.

Stephie möchte über Ostern ihre Schwester im Emsland besuchen – aber sie fährt nicht. Die vielen Nachrichten über das, was das fiese Virus anrichten kann, jagen ihr zu große Furcht ein. Schon bald traut sie sich gar nicht mehr vor die Tür. Wir sorgen uns um sie. Nach und nach macht die Angst ihre Seele richtig krank. Jetzt entwickelt sie auch körperliche Symptome, ist mal rastlos, dann wieder apathisch, sie kann nicht mehr stillsitzen und glaubt, dass überall auf ihrer Haut und in ihrer Wohnung „krankheitserregende Tierchen“ krabbeln.

Einmal Klinik und zurück

Zusammen mit ihrem rechtlichen Betreuer überzeugen wir Stephie schließlich, stationäre Hilfe in der psychiatrischen Klinik in Uelzen in Anspruch zu nehmen. Dort lautet die Diagnose: Schizophrene Psychose. Auch wir Fachkräfte vom ABW haben uns über dieses spezielle Krankheitsbild erst schlau machen müssen. Hier mehr Informationen darüber.

Nach zwei Wochen wird Stephie auf eigenen Wunsch aus der Klinik nach Hause entlassen. Es folgen eine lange Krankschreibung und viele ambulante Facharzttermine. Wir machen uns weiterhin große Sorgen. Zu ihrer besseren Unterstützung besuchen sie unsere Betreuerinnen vom Ambulant Betreuten Wohnen jetzt nahezu täglich. Sie erledigen vorübergehend sogar die Einkäufe, weil sich die vorher so selbständige Frau noch nicht wieder unter Menschen und in Geschäfte wagt. Die Betreuerinnen organisieren für Stephie auch eine zusätzliche Ambulante Psychiatrische Pflege-Maßnahme, auch das hilft. Zu der Unterstützungsperson hat Stephie noch heute Kontakt. Ansonsten tut sie sich aber noch lange schwer mit Kontakten zu „alten Bekannten“ wie ihrem Job-Coach oder ihrem rechtlichen Betreuer. Lediglich eine ehemalige Mitarbeiterin von uns aus dem ABW-Bereich darf sie privat besuchen.

Langsame Stabilisierung

Erst ganz allmählich stabilisiert sich Stephie wieder. Unsere intensive ambulante Betreuung können wir nach und nach behutsam wieder in eine begleitende Unterstützung überleiten. Unsere Mitarbeiterinnen helfen Stephie auch dabei, sich mit ihrer Erkrankung und den Folgen auseinanderzusetzen. In diesem Zuge reift in ihr die Idee, eine Erklärung und persönliche „Gebrauchsanweisung“ für ihre Freunde und Bekannten zu formulieren. Auch das verdient höchste Anerkennung: Stephie hat erlaubt, dass ihr „Brief“ hier veröffentlicht werden darf.

Heute arbeitet Stephie wieder ganz normal an ihrem alten Arbeitsplatz im Wendlandmarkt Lüchow – allerdings (noch) in Teilzeit. Von der terra erhält sie mittlerweile einmal in der Woche ambulante Unterstützung durch die qualifizierte Assistenz sowie ein- bis zweimal wöchentlich durch die einfache Assistenz.

Stephie hat sich ihr Leben weitgehend zurückerobert und viele alltagspraktische Fähigkeiten durch Übung „recycelt“. Sie ist fröhlicher geworden, traut sich auch wieder in die Welt hinaus, unternimmt Ausflüge und Besuche und will auch wieder neue Dinge lernen.

Was hat Stephie geholfen?

Aus ihrer Sicht

• die Gespräche mit der Psychologin,
• die Medikamente vom Facharzt,
• die praktische ambulante Unterstützung der terra (ABW),
• der private Kontakt zur ehemaligen terra-Mitarbeiterin,
• Bilder malen,
• die stufenweise Wiedereingliederung am Arbeitsplatz (zunächst als Praktikantin), die Kolleginnen und Kollegen sowie die Arbeit selbst
• wieder mehr unter Leuten sein
• und so oft wie möglich an was Schönes denken.

Aus fachlicher Sicht des Ambulant Betreuten Wohnens

• die beruhigende, verlässliche und Stephies Tage klar strukturierende Unterstützung,
• unsere Erklärungen in einfacher Sprache, dass sie nicht schuld ist an ihrem Zustand, sondern dass dieser durch ihre Erkrankung hervorgerufen wird,
• das stets angemessene Maß an kontinuierlicher Unterstützung sowie das ständige Motivieren, ohne dass sich Stephie über- oder unterfordert fühlt.

Stephies Tipps für andere Betroffene:

• Verfolgt schlimme Nachrichten nicht so intensiv!
• Holt euch Hilfe!
• Malt!
• Geht spazieren!

Was haben wir von der terra aus Stephies Geschichte gelernt?

• Es ist wichtig, bei den von uns betreuten Menschen stets aufmerksam zu sein im Hinblick auf mögliche Krisen und drohende psychische Erkrankungen.
• Ein kurzer Aufenthalt in einer Spezialklinik kann im Akutzustand durchaus hilfreich sein.
• Die pädagogische Arbeit mit Klientinnen und Klienten in einer Krise funktioniert nur durch ein gutes Team und klare Absprachen sowie Informationsbeschaffung.
• Die Grundlagen unserer Arbeit sind und bleiben Verständnis und Akzeptanz für die Menschen, mit denen wir arbeiten.

Hier Informationen über das Krankheitsbild Psychose
Hier Stephies „Brief“ an Freund und Bekannte


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