In den letzten Wochen war Kristin Brunk, Bereichsleiterin des Ambulant Betreuten Wohnens (ABW) bei der terra, wieder häufiger auf Dienstfahrt mit ihrem Privatwagen unterwegs. Und was darin auf dem Rücksitz lag, führte bei so manchen Leistungsnehmer*innen zu vielen Fragen. Swaantje Düsenberg hat mit Kristin Brunk darüber gesprochen.
Frau Brunk, bitte sagen Sie uns vorweg: Warum fahren Sie zu Assistenzterminen mit Ihrem Privatauto?
Brunk: Ganz einfach – weil sich unser ABW-Team einen Dienstwagen teilt und es deshalb öfter vorkommt, dass wir Mitarbeitende für parallele Termine mit Leistungsnehmer*innen auf unsere eigenen Autos zurückgreifen müssen.
Und da hat etwas in Ihrem Wagen offenbar Ihr Klientel ziemlich neugierig gemacht. Verraten Sie uns, was das war?
Brunk: Tatsächlich lagen – oder liegen immer noch – auf dem Rücksitz verschiedene Plakate und Schilder mit unterschiedlichen Aufschriften. Etwa Kein Bock auf Nazis oder Menschenrechte statt rechte Menschen oder auch EkelhAfd. Diese Botschaften halte ich hoch, wenn ich an Demonstrationen gegen rechts oder gegen die AfD teilnehme.
Dann gehören also auch Sie zu den abertausenden, die in Deutschland seit Januar für die Demokratie und gegen rechte Gesinnung auf die Straße gehen und ihre Stimme erheben.
Brunk: Absolut! Ich habe als Privatperson eine klar ablehnende Haltung gegenüber Rassismus, Intoleranz, Rechtspopulismus. Und das zeige ich auch. Ich trete in unserem Land für Vielfalt und Toleranz ein, ohne Wenn und Aber.
Kollidiert Ihre persönliche politische Haltung mit Ihren beruflichen Aufgaben?
Brunk: Ich finde nicht. Auch und gerade als Bereichsleitung einer Einrichtung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Beeinträchtigung kann ich meine Werte gut vertreten. Und weiß mich da auch mit meinem Arbeitgeber einig, der in seinem Leitbild u.a. formuliert hat: „Wir verstehen die UN-Behindertenrechtskonvention als unseren Auftrag, durch unser tägliches Wirken dem Recht des Menschen mit Behinderung bzw. Hilfebedarf auf selbstbestimmte und aktive Teilhabe am Leben in der Gesellschaft Geltung zu verschaffen.“ Und zu ihren innerbetrieblichen Werten heißt es im Leitbild der terra u.a.: „Wir schaffen ein Klima, in dem Rassismus, Diffamierung (…) nicht geduldet werden.“
Das ist eine überzeugende Übereinstimmung. Dann gibt es also kein Problem?
Brunk: Nein, mit der terra nicht. Aber möglicherweise mit meinen Aufgaben als Assistenzkraft – obwohl ich auch das nicht als „Problem“ bezeichnen würde. Eher vielleicht als Dilemma, das mir in vielen Gesprächen mit Leistungsnehmer*innen – ausgelöst von meinen Plakaten auf dem Autorücksitz – in jüngster Zeit aufgefallen ist und mich schon nachdenklich gestimmt hat.
Das müssen Sie uns näher erklären.
Brunk: Gern, aber dafür muss ich ein bisschen weiter ausholen. Sehen Sie, wir Assistenzkräfte unterstützen unsere Leistungsnehmenden bei allen möglichen Alltagsaufgaben. Wir beraten sie zu vielen unterschiedlichen Themenfeldern. Dazu gehören spätestens seit Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes auch die Bereiche des gemeinschaftlichen, sozialen und bürgerlichen Lebens. Denn auch Menschen mit Beeinträchtigung sollen ja an allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens teilhaben undmitwirken können. Dazu müssen sie aber wissen, welche Rechte ihnen generell als Mensch zustehen, wie sie zu ihrem Recht kommen und wie sie sich als Bürger*innen am sozialen und politischen Leben beteiligen können.
Es ist also grundlegend, dass auch Menschen mit Beeinträchtigungen informiert sind und sich eine eigene Meinung bilden können. Was aber ist mit denjenigen, die das nicht aus eigener Kraft heraus schaffen? Die Informationen nicht kritisch hinterfragen können? Laufen gerade sie nicht Gefahr, auf Rechtspopulismus, Spaltung und rechte Rhetorik hereinzufallen – gerade in den sozialen Medien? Wie kann das verhindert werden?
Brunk: Hier kommen wir Assistenzkräfte ins Spiel. Wir können unsere Leistungsnehmenden motivieren, sich zu informieren. Wir können sie beraten. Die Schwierigkeit dabei ist nur, dass wir das auch möglichst neutral tun sollen und auch wollen.
Verständlich, schließlich dürfen Sie ihnen ja nicht Ihre eigene Meinung und Haltung aufdrücken.
Brunk: Aber wieviel Zurückhaltung von uns Assistenzkräften ist zu viel oder zu wenig, gerade wenn es um politische Themen geht? Ich bin in letzter Zeit von Leistungsnehmenden öfter gefragt worden: „Kristin, warum hast du solche Plakate im Auto?“ – „Sag mal, gibt es eigentlich noch Nazis?“ – „Wieso gehen gerade so viele Menschen auf die Straße?“ – „Was ist eigentlich so schlimm an der AfD?“ Alle diese Fragen sind berechtigt und brauchen Antworten. Aber bei all der Bürokratie in unserer Arbeit sowie der Arbeit an den eigentlichen Zielen der Leistungsnehmenden bleibt uns Assistenzkräften kaum oder gar keine Zeit, für sie neutrales Info-Material in einfacher Sprache zu beschaffen. Oder mit ihnen gar politische Diskussionen zu führen.
Tun Sie es denn trotzdem?
Brunk: Ja! Weil uns die Menschen, die wir unterstützen, am Herzen liegen. Und weil wir uns auch durch unsere Arbeit für eine demokratische Welt einsetzen, in der Vielfalt und Toleranz gelebt werden. Aus meiner Sicht geht es auch bei den Demonstrationen gegen rechts und gegen die AfD ja nicht nur um das Thema Migration, sondern um so viel mehr! Wir müssen uns erinnern, dass im Nationalsozialismus behinderte Menschen deportiert, auf das Furchtbarste gefoltert und massenweise getötet wurden, nur weil sie nicht in das Bild der Nazis passten. Heute passen viele Migrant*innen nicht in das Bild der AfD, weshalb sie nach Willen dieser Partei „remigriert“ werden müssten. Ich halte das für eine verschleierte Sprache von Rechtsextremen, die tatsächlich „deportieren“ meinen. Zu Menschen mit Beeinträchtigung äußert sich die AfD in ihrem Wahlprogramm hingegen fast gar nicht – aber wehret den Anfängen! Zumindest findet sich der Satz „Keine ideologisch motivierte Inklusion“ in ihrem Wahlprogramm in Zusammenhang mit Kindern. Wenn ich das bedenke, befällt mich große Sorge, dass bei wachsendem Zuspruch zur AfD alle Fortschritte und positiven Entwicklungen für Menschen mit Beeinträchtigung der letzten Jahre zunichte gemacht werden. Ganz abgesehen von meinen Sorgen, wie unsere Gesellschaft dann insgesamt aussehen würde.
Es ist also gut, dass im Moment so viele Menschen wie auch Sie auf die Straße gehen für eine vielfältige und tolerante Gesellschaft und eine freiheitlich demokratische Grundordnung.
Brunk: Ja, darüber bin ich sehr froh! Auch dass Politiker*innen und alle möglichen Verbände klare Haltung zeigen. Zum Beispiel der Paritätische Gesamtverband, zu dem auch die terra gehört. Er hat uns Mitgliedsorganisationen schon im Januar dazu aufgerufen, „Hand in Hand gegen Rechtsextremismus“ mitzuprotestieren. Und ich bin ebenso froh, privat wie in Ausübung meiner Arbeit für „Menschenrechte statt rechte Menschen“ eintreten zu können. Über dieses Plakat auf dem Rücksitz meines Wagens hat es übrigens die meisten Gespräch mit Leistungsnehmer*innen gegeben. Und auch darüber bin ich froh!
Frau Brunk, vielen Dank für das Gespräch und Ihre Offenheit!