Corona-Vorschriften: Mit zweierlei Maß

Seit dem 1. Oktober ist das neue Infektionsschutzgesetz gültig. In Niedersachsen wird es u.a. mit folgender „Absonderungsverordnung“ umgesetzt: Bei nachgewiesener Corona-Infektion muss sich der bzw. die Betroffene unverzüglich für fünf Tage in häusliche Isolation begeben. Anschließend kann die Isolation beibehalten werden, bis ein negatives Testergebnis vorliegt. Engen Kontaktpersonen von Infizierten wird lediglich empfohlen, sich für fünf Tage in Quarantäne begeben. Sie können das tun, müssen es aber nicht.

Diese Regeln gelten jedoch nur für Menschen ohne Behinderung, wie die terra erleben musste. Für Infizierte mit einer geistigen Behinderung, die z.B. bei der terra in besonderer Wohnform leben, erließ das zuständige Gesundheitsamt per Allgemeinverfügung im Oktober Folgendes: Nicht nur positiv getestete Bewohner*innen, sondern auch solche, die negativ getestet wurden, müssen sich gleichermaßen isolieren. Und das nicht fünf Tage lang – sondern gleich für 10 Tage!

Machen wir uns noch einmal klar, was Isolierung bzw. Absonderung heißt. Sie bedeutet, dass sich die Betroffenen für die vorgeschriebene Dauer ohne persönliche Kontakte zu anderen Menschen zuhause isolieren müssen. In dieser Zeit dürfen sie weder die Wohnung bzw. das Haus verlassen noch Besuch von anderen empfangen oder sich gar außerhalb des terra-Geländes aufhalten.

In der ersten Oktoberhälfte wurde das bittere Realität für die Bewohner*innen, denn nun grassierte das Coronavirus unter ihnen. „Von unseren 30 Leuten waren nach und nach 14 positiv getestet“, berichtet Einrichtungsleiter Henrik Thunecke. „Aber zum Glück verliefen alle Infektionen milde.“ Das hat an der 10-tägigen „Absonderungspflicht“ nichts geändert –  und diejenigen, die erst gar nicht infiziert waren, waren gleich „mitverhaftet“.

Kein Wunder, dass der Heimbeirat über diese rundum ungerechte Verfügung so empört war, dass er dem Gesundheitsamt einen Beschwerdebrief schickte. Mit Durchschrift an die zuständige Heimaufsicht, die die Beschwerde übrigens richtig fand. Diese fußte auf drei Argumenten:

Erstens wurde die ungleiche Behandlung kritisiert: Allein aufgrund des Wohnens in besonderer Wohnform wird die Quarantäne von 5 auf 10 Tage erhöht. 

Zweitens wurde es als Diskriminierung angesehen, dass in besonderer Wohnform lebenden, aber nicht infizierten Kontaktpersonen auch Quarantäne auferlegt wurde.

Drittens wurde die Maskenpflicht für bestimmte Personengruppen angeprangert. Dazu gehören nicht nur alte Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen, sondern auch Menschen, die in Einrichtungen der Eingliederungshilfe wohnen und/oder arbeiten. Diesen Gruppen hat der Gesetzgeber – anders als für die restliche erwachsene Bevölkerung – eine generelle Maskenpflicht auferlegt. Und zwar müssen die Betroffenen außerhalb ihres privaten Zimmers bzw. ihrer privaten Wohnung in allen Bereichen der Einrichtung eine FFP2-Maske tragen.

Das Gesundheitsamt ist trotz des Beschwerdebriefes bei seiner Haltung geblieben.

Henrik Thunecke sagt: „Wir haben wirklich nichts gegen Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens. Aber mit zweierlei Maß messen – das geht nicht. Deshalb habe ich für die Beschwerde unseres Heimbeirates volles Verständnis. Diese Ungerechtigkeiten haben uns alle hier bei der terra in der ersten Oktoberhälfte ganz schön beschäftigt.“ Alle finden es gut, dass der Beschwerdebrief von der Heimaufsicht auch an übergeordnete Stellen wie das niedersächsische Ministerium für Arbeit und Soziales und das Bundesministerium für Gesundheits weitergeleitet wurde. Auch wenn der Einrichtungsleiter nochmal erleichtert feststellt: „Mit Corona sind wir erstmal durch.“


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